Das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Am Freitag, den 30.06.2017, wurde vom Bundestag nicht nur die in der Öffentlichkeit diskutierte „Ehe für alle“ beschlossen.

Im „Windschatten“ der „Ehe für alle“ wurden auch zwei medienrechtlich relevante Entscheidungen getroffen:

Wie in meiner Newsmeldung vom 29.06.2017 mitgeteilt, wurde die sog. Störerhaftung für offene WLANs abgeschafft.

Und darüber hinaus gibt es ein neues Gesetz, das sog. Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Das Ziel des Gesetzes ist die „Bekämpfung von Hasskommentaren“ in Sozialen Netzwerken; das neue Gesetz wurde daher auch schon als „Facebookgesetz“ betitelt.

Folgende Eckpunkte beinhaltet das Gesetz:

Zunächst sollen die Betreiber von Sozialen Netzwerken, die ihren Sitz im Ausland haben, verpflichtet werden, für Bußgeld- und Strafverfahren einen inländischen Verantwortlichen zu benennen.

Das ist sicherlich sinnvoll. Man hätte die Gelegenheit aber auch nutzen können, um die Betreiber auch für zivilrechtliche Verfahren zu verpflichten, einen entsprechenden Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Wer schon einmal ein Verfahren gegen Facebook oder Google geführt hat, versteht, was ich meine: Betreiber der Seiten ist bei Facebook und Google immer der in den USA ansässige Konzern. Will man gegen diese klagen, so ist man (zumindest bei einigen Gerichten) gezwungen, die Klage von einem öffentlich bestellten und vereidigten Übersetzer gegen Zahlung eines entsprechenden Vorschusses übersetzen zu lassen – und dann muss über den formellen Weg die Klage in die USA zugestellt werden, was Monate dauert.

Das neue Gesetz sieht vor, dass „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden müssen. Und rechtswidrige Inhalte, die nicht offensichtlich rechtswidrig sind, innerhalb einer Frist von 7 Tagen.

Die Entscheidung darüber, was offensichtlich rechtswidrig, „nur“ rechtswidrig oder rechtmäßig ist und was nicht, soll und muss der Betreiber des Sozialen Netzwerks selbst treffen.

Und genau hier beginnt das Problem:

Da Verstöße gegen das neue Gesetz mit Bußgeldern von bis zu 5,0 Mio. Euro geahndet werden können, wird von den zahlreichen Kritikern des neuen Gesetzes befürchtet, dass der Betreiber im Zweifel das beanstandete Posting löschen wird. Und damit besteht die Gefahr, dass über diesen Weg einer Zensur Tür und Tor geöffnet wird: passt jemanden eine Meinung oder eine bestimmte Kritik nicht, so beschwert man sich beim Betreiber des Sozialen Netzwerks, der schon aus Eigeninteresse das Posting löschen wird. Kritiker befürchten daher eine „Löschorgie“.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die „Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“: indem man die Prüfung, ob eine Meinung rechtswidrig oder rechtmäßig ist, nicht von einem Gericht prüfen und entscheiden lässt, sondern dies auf den privaten Betreiber der Plattform verlagert, wird eine eigentlich staatliche Aufgabe auf die Privatwirtschaft übertragen.

Ein mehr als beachtliches Argument: Gerade wenn man bedenkt, dass die Frage, ob eine Äußerung rechtswidrig ist und damit Persönlichkeitsrechte verletzt oder noch rechtmäßig und damit von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, selbst unter Presserechtlern oftmals unterschiedlich eingeschätzt wird.

Eine aktuelle Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts verdeutlicht dies:

Das OLG Hamburg hat den Herausgeber des bekannten Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ verurteilt, zu einem kritischen Berichts über die Zustände bei der HSH Nordbank einen „Nachtrag“ abzudrucken, den der damalige Kläger vorformuliert hatte. Der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurück gewiesen. Der „Spiegel“ erhob Verfassungsbeschwerde und wollte im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Vollstreckung aus dem Urteil des OLG Hamburg einstellen lassen. Das BVerfG gab der einstweiligen Anordnung statt, u.a. mit der Begründung, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben wird.

Bei dieser Entscheidung geht es mir nun nicht um den Inhalt, ob also das Verlangen auf Abdruck eines Nachtrags rechtlich zutreffend ist oder nicht.

Sondern diese Pressemitteilung verdeutlicht die Schwierigkeiten bei der Abwägung der beiden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen:

Der Pressesenat des OLG Hamburg besteht immerhin aus drei, im Presserecht sehr erfahrenen Richtern. Aber wenn noch nicht einmal dann ausgeschlossen ist, dass diese drei „Presserechts-Profis“ sich bei der Abwägung irren können und nachher das Bundesverfassungsgericht zu einem anderen Ergebnis kommt, wie soll eine solche Abwägung dann von einem Mitarbeiter von Facebook zuverlässig und rechtssicher vorgenommen werden?

Neben anderen praktischen Problemen aus meiner Sicht ein Punkt, weshalb das neue Gesetz misslungen ist.

Harte Kritik an einem Unternehmen kann zulässig sein

Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 16.12.2014 – Az.: VI ZR 39/14) geurteilt, dass Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich auch scharfe und überzogene Meinungsäußerungen hinnehmen müssen. Eine wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens sei in der Regel auch dann vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn sie scharf und überzogen formuliert sei, so der BGH. Sie könne daher nur unter engen Voraussetzungen als Schmähkritik angesehen werden. Da sich Wirtschaftsunternehmen in der Öffentlichkeit bewegen, müssen sie daher grundsätzlich eine kritische öffentliche Diskussion hinnehmen, so die Schlussfolgerung des BGH. In dem besagten Fall ging es um Äußerungen eines Wissenschaftsjournalisten in einem Mail, in dem der Journalist das Produkt bzw. die Tätigkeit des klagenden Unternehmens als „Betrug, Schwindel, Scharlatanerie“ bezeichnet hatte. Der Journalist konnte sich bei seiner Äußerung allerdings auch auf unabhängige Gutachten stützen. Da also seine harte Kritik auch auf Fakten beruhte, waren die Äußerungen zulässig.

Dieses Urteil liegt damit auf einer Linie mit der Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 14.01.2015 (siehe unsere News dazu vom 29.01.2015). Dort hatte das OLG entschieden, dass im politischen Meinungskampf ebenfalls mit harten und scharfen Worten kritisiert werden darf.

Wer gegen solche Äußerungen vorgehen möchte, – egal ob diese im politischen Meinungskampf gefallen sind oder ob es sich um Kritik an einem Unternehmen handelt – sollte daher vorher gut abwägen, ob er die Kritik akzeptiert und sich ggfs. auch öffentlich dagegen wehrt oder ob er gerichtliche Schritte einleitet. Werden gerichtliche Schritte eingeleitet und der Prozess geht verloren, so erreicht man exakt das Gegenteil von dem, was man eigentlich bezwecken wollte: über das Urteil wird eventuell öffentlich diskutiert und derjenige, der sich geäußert hatte, fühlt sich in seinem Tun sogar noch bestärkt.

Äußerungsrecht: Bezeichnung als Betrüger, Rechtsbrecher, Lügner, Halunke oder Gauner kann zulässig sein

Im politischen Meinungskampf wird mit harten Bandagen gekämpft. Hierbei sind auch kritische und abwertende Meinungen zuzulassen. Das Recht der Meinungsfreiheit ist ein elementarer Gegenstand der Rechtsordnung und Voraussetzung für einen freien und offenen politischen Prozess.

Insbesondere im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Positionen sind dabei auch Begriffe wie „Betrüger, Rechtsbrecher, Lügner, Halunke oder Gauner“ erlaubt, so das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.01.2015 – Az. 6 U 156/14). Zwar ist jeweils eine Abwägung im Einzelfall erforderlich. Im konkreten Fall, in dem ein ehemaliges Mitglied der Partei Alternative für Deutschland (AfD) ein anderes Gründungsmitglied dieser Partei in einer E-Mail an mehrere Parteimitglieder so bezeichnet hat, ging das Oberlandesgericht Karlsruhe von einer zulässigen Meinungsäußerung aus.

Bei einer die Öffentlichkeit interessierenden Frage könne nur ausnahmsweise von einer sogenannten Schmähkritik ausgegangen werden. Wenn ohne sachliches Anliegen nur noch eine persönliche Kränkung im Vordergrund stehe, wäre eine solche Schmähkritik auch als Meinungsäußerung unzulässig. Dies hat das Oberlandesgericht Karlsruhe vorliegend verneint.

Es zeigt sich, dass im Äußerungsrecht jeweils eine Abwägung der widerstreitenden persönlichen Interessen gegenüber den Grundsätzen der Meinungsfreiheit erfolgen muss.